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Geburt und Geburtshilfe – damit fängt es an

Die Geburt sollte der Start in ein langes, gesundes Leben eines leistungsfähigen Rindes sein. Welchen Einfluss Schwergeburten in diesem Zusammenhang haben können, erläuterte Professor Axel Wehrend, Leiter der Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere an der veterinärmedizinischen Fakultät der JLU Gießen in seinem Vortrag.

Reduzierte Futteraufnahme aufgrund von Schmerzen, sinkende Leistung und eine reduzierte Fruchtbarkeit können die Folge sein -  und auch die Kälber haben oftmals Probleme. Ein hoher Anteil an Schwergeburten geht nachweislich mit erhöhter Kälbersterblichkeit einher. Im Verlauf des Vortrags wurde deutlich, wie wichtig eine adäquate Geburtsüberwachung ist. Die Kontrollintervalle und das Erkennen der Tiersignale sind wesentliche Voraussetzungen dafür, die Häufigkeit von Totgeburten so gering wie möglich zu halten.

Eine Herausforderung stellt dabei das sichere Erkennen der einsetzenden Geburt dar. Der Referent machte deutlich, dass äußere Anzeichen, wie sie von Praktikern oft angeführt werden, oft schon Tage im Voraus auftreten und nicht zwingend das unmittelbar bevorstehende Geburtsereignis ankündigen. Rund eine Woche vor der Geburt sind ein Anschwellen der Scham, Schleimabgang, Aufeutern, erhöhte Zitzenfüllung und ähnliches zu erkennen. Aber einzig die vollständige Lockerung der Beckenbänder ist als sicheres Zeichen zu werten, dass die Geburt innerhalb der nächsten acht Stunden erfolgt.

Wie wichtig eine frühzeitige Umstallung und stressfrei Unterbringung in einer hygienisch einwandfreien Abkalbebox für den reibungslosen Kalbeverlauf und eine gute Kälbergesundheit ist, wurde ebenfalls ausgeführt. Der Abkalbebereich kann sonst zur Keimschleuder des Betriebes werden, und das nicht nur, wenn die Abkalbebucht als Krankenbucht genutzt wird, was selbstredend nicht der Fall sein darf.

Das sicherste Mittel zur Vermeidung bzw. Verminderung von Schwergeburten ist die regelmäßige Beobachtung der Kühe, ohne sie zu stören. Die Phasen der Geburt (Öffnungsphase, Austreibungsphase, Nachgeburtsphase) müssen bekannt sein. Gerade in der ersten Phase der Geburt ist Geduld meist mehr gefragt als alles andere.

Sollte sich der Durchtritt des Kopfes nach dem Platzen der Fruchtblase mehr als 1,5 Stunden verzögern, die Geburt ins Stocken kommen, Teile der Nachgeburt sichtbar werden, bevor das Kalb auf der Welt ist, oder es Abweichungen von der Norm geben (zum Beispiel nur ein Bein zu sehen sein), dann sind das Gründe für eine Kontrolluntersuchung. Hier muss ebenfalls penibel auf Sauberkeit geachtet werden. Nur Wasser allein reicht nicht aus. Die Scham sollte auch mit Seife gereinigt und anschließend mit Wasser gespült werden.

Zughilfe sollte, sofern erforderlich, nur am liegenden Tier erfolgen, weil die Kuh dabei die maximale Kraftentfaltung entwickeln kann und die knöchernen Geburtswege den maximalen Durchmesser erreichen. Entscheidend ist, dass auch bei Geburtshilfe auf eine ausreichende Dehnung der äußeren Geschlechtsorgane geachtet wird.

Beim Auszug ist vor allem darauf zu achten, dass die Zugrichtung zum richtigen Zeitpunkt in Richtung Sprunggelenke der Kuh geändert wird, damit sich die Hintergliedmaßen des Kalbes strecken können. Dies ist der Fall, wenn der Brustkorb des Kalbes geboren ist. In diesem Moment reißt dann auch die Nabelschnur, die das Kalb bis dahin sicher versorgt hat.

Bei Hinterendlage ist ein rasches Eingreifen erforderlich, da die Nabelschnur hier bereits durchtrennt wird, bevor der Kopf des Kalbes den Mutterleib verlassen hat. Zughilfe sollte maximal mit zwei Personen geleistet werden. Das reduziert das Risiko von Geburtsverletzungen, wie auch das Vermeiden eines Selen-, Kalzium- oder Energiemangels sowie eine Verfettung der Tiere vor der Geburt.

Auch zu den Besonderheiten beim Einsatz mechanischer Geburtshelfer nahm Prof. Wehrend Stellung. Oftmals wird dieses Hilfsmittel zu häufig und zu früh eingesetzt. Gerade das Kippen des mechanischen Geburtshelfers führt durch den veränderten Zugwinkel zu ungeahnter Kraftentfaltung und somit oft zu innerlichen Verletzungen. Ein Einsatz darf ohnehin nur in Erwägung gezogen werden, wenn unter anderem der Muttermund vollständig geöffnet ist, das Kalb korrekt liegt und nicht absolut oder relativ zu groß ist.

Die Frage ob sich ein Kaiserschnitt lohnt, kann laut Professor Wehrend mit einem klaren Ja beantwortet werden, sofern er rechtzeitig durchgeführt wird. Damit kann das Kalb meist gerettet werden, und bei der Kuh treten keine Folgeschäden auf. Zum Abschluss ermunterte Prof. Wehrend die Zuhörer noch, einfache Korrekturen, wie zum Beispiel eine Karpalgelenksbeugehaltung, an tot geborenen Kälbern zu üben und wies darauf hin, dass im Rahmen des bundesweiten Netzwerks Fokus Tierwohl künftig detaillierte Informationen zum Thema Geburtsmanagement frei zur Verfügung gestellt werden.

Die Videoaufzeichnungen der Veranstaltungen stehen für registrierte Besucher der „EuroTier digital“ bis zum 31. Mai 2021 im Menü Fachprogramm (unter https://eurotier.digital.dlg.org/program) zur Verfügung. Noch nicht registrierte Nutzer können über den Ticketshop der EuroTier Zugang erhalten.

Hintergrund

Als Teil des Bundesprogramms Nutztierhaltung fördert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) den Aufbau des Netzwerkes Fokus Tierwohl. Das Verbundprojekt der Landwirtschaftskammern und landwirtschaftlichen Einrichtungen aller Bundesländer hat das Ziel, den Wissenstransfer in die Praxis zu verbessern, um schweine-, geflügel- und rinderhaltende Betriebe hinsichtlich einer tierwohlgerechten, umweltschonenden und nachhaltigen Nutztierhaltung zukunftsfähig zu machen. Neueste Erkenntnisse aus der angewandten Forschung, der Praxis, den Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz und anderen Projekten werden durch drei Tierwohl-Kompetenzzentren in Kooperation mit Experten der Verbundpartner gesammelt und fachlich fundiert eingeordnet. Ausführliche Informationen sind unter www.fokus-tierwohl.de zu finden.