Zum Hauptinhalt springen

Lebensmitteltechnologie der Zukunft - eine integrierte Wissenschaft „from farm to fork“

DLG-Expertenwissen 06/2015

Autor:

Prof. Dr. H. J. Buckenhüskes
DLG-Fachzentrum Ernährungswirtschaft
H.Buckenhueskes@DLG.org


Blicke in die Zukunft sind nicht selten Extrapolationen aus der Vergangenheit, so dass wir auch hier wieder bei den altbekannten Fragen sind: „Woher kommen wir?“ und „Wohin gehen wir?“ Auf den Bereich der Landwirtschaft und der Lebensmittel bezogen beantwortete DARYL LUND diese Fragen 2012 mit nur wenigen Worten: Wir kommen aus der Welt des „billig“, „reichlich“ und „verfügbar“ und wollen in die Welt des „sicher“, „gesund“ und „nährreich“. Für ihn kommt diese Situation einem Paradigmenwechsel gleich.

Derartige Entwicklungen im Markt gehen praktisch immer von zwei Impulsen aus, einerseits von einem Wissenschaftsschub (science push) und andererseits vom Verlangen der Verbraucher (consumer demand), wobei letzteres im Lebensmittelbereich seit jeher eine wesentlich größere Rolle spielt als in anderen Branchen (HOMAYR, 1987). Und das aktuelle Verlangen ist gewaltig: ein Höchstmaß an Lebensmittelsicherheit, eine möglichst hohe sensorische Qualität, sowie ein Maximum an Convenience bei gleichzeitig weitestgehender Naturbelassenheit und einer möglichst langen Haltbarkeitszeit, idealerweise außerhalb der Kühlung.

Zunächst soll ein kurzer Blick auf die beiden Impulsgeber geworfen werden:

Im Jahre 1986 referierte JÖRG HOMAYR von der Nestlé Deutschland über das Thema „Von der klassischen zur postmodernen Lebensmitteltechnologie“. Seinen Ausführungen zufolge ist die Lebensmitteltechnologie aus verschiedenen Handwerken sowie den einschlägigen Wissenschaften hervorgegangen und hat sich dann klassisch nach dem kartesianischen Prinzip der Erforschung der beweisbaren Details entwickelt. Unbestreitbar wurde auf diesem Weg der exakten Analyse der Einzelbestandteile der uns bekannte hohe Stand der Lebensmitteltechnologie erreicht. Doch ist es auch keine Frage, dass die Auflösung in die Details wenig hilfreich ist, wenn es darum geht, komplexe Probleme zu lösen.

Angesichts dieses Dilemmas ist es nicht verwunderlich, dass die untrennbar mit dem Glauben an den Fortschritt verbundene Moderne durch eine neue Epoche – eben die Postmoderne – abgelöst werden musste, in der neben dem rein zweckorientierten, materiellen Handeln gleichberechtigt eine moralische und ästhetische Dimension, vielleicht auch eine gewisse Art von Nostalgie stehen wird. Auf die Lebensmitteltechnologie bezogen heißt dies für HOMAYR, 1987, „… dass mehr ganzheitlich, gesamthaft gedacht werden muss. Nur das darf gemacht werden, was nachweisbar langfristig keinen Schaden anrichtet. Wir müssen lernen, mit der Natur im Einklang zu leben und zu wirken. Die Ästhetik wird beim Genuss des Essens über Präsentation, Geruch, Geschmack, Gedankenaustausch, Atmosphäre, vielleicht auch durch Enthaltsamkeit und Verzicht auf liebgewordene Unsitten, eine neue Dimension erfahren.“

Lenken wir den Blick auf den Verbraucher, so ist festzustellen, dass sich auch bei diesem unübersehbare Veränderungen manifestiert haben. Ursprünglich dürfte es kaum einen anderen Lebensbereich gegeben haben, in welchem die Menschen über Jahrtausende hinweg und in allen Kulturen so konservative Verhaltensmuster gezeigt haben, wie in der Ernährung. Indem das Ernährungsverhalten von den Eltern auf die Kinder vererbt wurde, kam es über die Generationen zu einer immensen Verhaltenskontinuität und einer als Neophobie bezeichneten Betrachtung, wonach neue Lebensmittel potentiell gefährlich sind. WASSERMANN vertrat 1979 die Ansicht, dass diese Betrachtung eine der wesentlichen Ursachen für die bis auf den heutigen Tag festzustellende ausgesprochen konservative Ausgestaltung unseres Lebensmittelrechts ist.

In den industrialisierten Ländern lässt die aktuelle Ernährungsrealität vor allem bei jungen Menschen kaum noch etwas von dieser traditionellen Verhaltenskontinuität erahnen. Vielmehr ergaben sich parallel zur Industrialisierung der Lebensmittelherstellung tief greifende Verschiebungen der kollektiven und individuellen Rahmenbedingungen, denen nach HORX, 1993, solide soziodemographische Veränderungen sowie technologische Innovationen zugrunde liegen. Und so zeichnete die Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung e.V. [GfK, 1995] aufgrund von entsprechenden Marktforschungen bereits 1995 das Bild eines individualisierten, multioptionalen Konsumenten, der immer weniger ein Leben von der Stange, sondern einen individuellen Mix aus verschiedenen Lebensentwürfen realisieren will. Für den modernen Konsumenten sind Gesundheits-, Convenience- und Feinschmeckerorientierung wichtig, jedoch keine prototypischen Ernährungsstile mehr – für ihn sind dies vielmehr Möglichkeiten, seine eigenen individuellen Vorstellungen zu befriedigen [BERGMANN, 1999].

Eine Erklärung für diese Lebensstilorientierung der Verbraucher respektive die Motivdominanz gesellschaftlicher Vorgänge bietet die in Abbildung 1 dargestellte Bedürfnispyramide nach MASLOW, welche verdeutlicht, dass sich die Bedürfnisse, an denen wir den Wert eines Gutes bei zunehmendem Vorhandensein messen, verändern. Während die Erfüllung physiologischer Bedürfnisse die Basis der Pyramide darstellt, folgen in den weiteren Stufen die Sicherheits-, Wertschätzungs- und zuletzt die Selbstverwirklichungsbedürfnisse [MASLOW, 1970].
 

Um in Zukunft erfolgreich am Markt agieren zu können, gilt es daher in zunehmendem Maße, die Gesamtheit der in Abbildung 2 dargestellten Einflussfaktoren auf die Qualität und die Akzeptanz von Lebensmitteln zu berücksichtigen und dabei vor allem den individuellen Bedürfnissen der Konsumenten Rechnung zu tragen. Damit behält HOMAYR, 1987, aber recht, wenn er schreibt: „Die zukünftige Lebensmitteltechnologie wird (jedoch) eine die Randgebiete beinhaltende Gesamtwissenschaft sein. So wie BELITZ einmal sagte, dass die Lebensmittelchemie die Chemie der Nebenreaktionen sei, so wird die Lebensmitteltechnologie die Wissenschaft von der integrierten Einbeziehung aller relevanten Randgebiete in die Herstellung von Lebensmitteln, die der Verbraucher will und braucht, sein.“ 

Möglich wird dies aber nur werden, wenn wir die Herstellung von Lebensmitteln endlich als einen integrierten zusammenhängenden Prozess verstehen, eine Wertschöpfungskette, die  von der produzierenden Hand in der Landwirtschaft über die Lebensmittelhersteller und den Handel bis hin zum Verbraucher, vielleicht auch noch bis auf dessen Tisch reicht und entsprechend konsequent gestaltet und umgesetzt werden muss.

Schlagworte wie „from farm to fork“ oder „vom Erzeuger zum Verbraucher“ sind zwar schon lange im Umlauf, doch fehlt es in vielen Situationen an der Umsetzung, was oftmals auch auf gegenseitiges Unverständnis zurückzuführen ist. Qualität, die nicht bereits im Rohstoff angelegt ist – und dies gilt gleichermaßen für Pflanzen wie auch für Tiere – kann im Verlauf der weiteren Verarbeitung zum handelbaren Fertigprodukt nicht nachträglich eingebracht werden. Und wenn bei der Verarbeitung möglichst schonende Verfahren eingesetzt und trotzdem entsprechende Haltbarkeitszeiten erreicht werden sollen, so gilt uneingeschränkt, dass Hygiene bereits im Stall oder auf dem Feld beginnt. Die Umsetzung solcher Forderungen beginnt aber damit, dass gegenseitig verstanden werden muss, um was es jeweils geht und warum welche Qualitätsforderungen gestellt werden. Im Gegenzug gilt es auch zu verstehen, wo beim jeweiligen Stand des Wissens und der Technik die Grenzen liegen. Ähnliche „Grenzprobleme“ gibt es aber nicht nur zwischen der Urproduktion und den Verarbeitern, sondern vielmehr auch zwischen den Herstellern der Lebensmittel und dem Handel sowie zwischen diesem und den Konsumenten.

Die Wertschöpfungskette stellt sich damit auch als eine einzigartige Kommunikationskette dar, in welcher die bereits länger bestehende Forderung nach einem gläsernen Lebensmittelmarkt endlich umgesetzt werden sollte. Für diesen gelten zwei grundsätzliche Gebote (BUCKENHÜSKES, 2000), nämlich:

  1. eine umfassende, offene, ehrliche, leicht verständliche und unverschlüsselte Information und
  2. dass Herkunft, Herstellung und Distribution der Lebensmittel, bei der Herstellung angewandte Verfahren sowie der Sinn verwendeter Zusatzstoffe für den interessierten Verbraucher durchsichtig und nachkontrollierbar werden.

Da es gemäß der HUMBOLDT´schen Erkenntnis nicht die Tatsachen sind, die unser Verhalten entscheiden, sondern die Meinung, die wir über die Tatsachen haben, kommt der Kommunikation eine in der Lebensmittelbranche bis heute oftmals unterschätzte Bedeutung zu. Vielmehr haben Schwächen in der Kommunikation hier Tradition, sei es, indem vielfach doch nur das gesagt wird, was gesetzlich vorgeschrieben ist, sei es, indem die Information des Verbrauchers doch viel lieber den selbsternannten Fachleuten überlassen wird oder indem man dem Verbraucher in der Werbung traditionelle Verfahrensweisen suggeriert, obwohl tatsächlich hoch technisierte Prozesse angewendet werden [BUCKENHÜSKES, 2000].

Wie bereits angeklungen, ist Kommunikation aber nicht nur gegenüber dem Verbraucher, sondern vielmehr auch innerhalb der Wertschöpfungskette notwendig. Eine bis heute interessanterweise vielfach vernachlässigte Kommunikation ist beispielsweise an der Schnittstelle zwischen Primärproduktion und Verarbeitung notwendig, da die ursprüngliche Situation: „hier die Produzenten, da die Verarbeiter“, heute aus verschiedenen Gründen nicht mehr verantwortbar ist. Dies gilt nicht nur mit Blick auf die aktuelle Forderung nach Rückverfolgbarkeit, vielmehr müssen seitens der Verarbeiter klare Anforderungen an die Rohstoffe definiert werden, welche dann auch innerhalb eines ebenfalls definierten Qualitätsfensters von den Rohstoffproduzenten einzuhalten sind. Pflanzen- und Tierzüchter, Anbauer und Mäster auf der einen sowie Verarbeiter auf der anderen Seite müssen also in einen verstärkten Dialog treten, um den unterschiedlichen Anforderungen möglichst optimal entsprechende Rohstoffe realisieren zu können. Mittelfristig gilt es dabei mit Sicherheit auch, HACCP-Konzepte in die pflanzliche und tierische Urproduktion umzusetzen, damit den hygienischen Herausforderungen sowie dem ethisch gebotenen und politisch geforderten Nachhaltigkeitsgedanken adäquat entsprochen werden kann [BUCKENHÜSKES, 2004].

Ernährungswissenschaftliche Einflüsse

Wesentliche Impulse für die Lebensmitteltechnologie gehen derzeit von der Tatsache aus, dass unsere Lebensmittel in zunehmendem Maße nicht mehr nur als Nährstoff-, Energie- und Genussspender betrachtet werden, sondern mehr und mehr der Forderung des HIPPOKRATES entsprechen sollen, nach der unsere Lebensmittel unsere Heilmittel und unsere Heilmittel unsere Lebensmittel sein sollen.

Basis für diese Forderungen sind grundsätzlich neue Untersuchungsmethoden einschließlich Modellen zum Nachvollziehen der komplexen Vorgänge im Verdauungstrakt, die das Wissen der Ernährungswissenschaftler und Ernährungsmediziner über die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Ernährung sowie daraus abgeleiteten Möglichkeiten präventiver Maßnahmen rasant voranschreiten lässt. Aktuell diskutierte Themen sind vor allem die Bedeutung der Ballaststoffe, die Bedeutung des Darmassoziierten Immunsystems inklusive der Darmflora oder die Bedeutung antioxidativ wirksamer Substanzen u.a. im Zusammenhang mit der Prävention von Krebserkrankungen sowie von Alterungsprozessen. Im Bemühen, diese Erkenntnisse in Produkte umzusetzen, kommen vor allem die so genannten Functional Food auf den Markt, die aber nur eine Art Übergangsstation zu einer personalisierten Ernährung markieren. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es trotz aller Erwartungen, die an Funktionelle Lebensmittel gestellt werden auch kritische Stimmen gibt, die u.a. deren Notwendigkeit und/oder Wirksamkeit in Frage stellen oder die darauf hinweisen, dass dem Verbraucher eine qualitativ und quantitativ optimierte Zusammenstellung seiner Nahrung niemals möglich sein wird, da er doch nicht einmal die kalorische Komponente dieses Themas unter Kontrolle hat.        

Lebensmitteltechnologie als solche

Wenn die bisherigen Ausführungen auch ein anderes Bild zu zeichnen scheinen, so bleiben die eigentlichen technischen und technologischen Aspekte selbstverständlich wesentliche Schwerpunkte der zukünftigen Lebensmitteltechnologie, wobei neben der Notwendigkeit des gesamtheitlichen Denkens die dem Fach bereits immanente Multidisziplinarität und damit auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten wesentlich stärker zum Tragen kommen werden, als dies in der Vergangenheit bereits der Fall war. Denn die Erfüllung der vielfältigen Wünsche des modernen Verbrauchers ist beileibe keine triviale Sache. Vielmehr sind Lebensmittel, die allen seinen Forderungen entsprechen absolute High Tech Produkte, deren Herstellung nur unter Einbeziehung des gesamten lebensmittelwissenschaftlich-technischen Wissens möglich ist.

So alt es auch bereits ist, so wird uns das ursprüngliche Kernthema der Lebensmitteltechnologie, nämlich die Haltbarmachung der Lebensmittel und deren Qualitätserhaltung während definierter Lagerzeiten, auch weiterhin beschäftigen. Um der Forderung des Verbrauchers nach einer möglichst geringfügigen technischen Behandlung gerecht werden zu können, wird dabei die 1976 von LEISTNER und RÖDEL formulierte Hürdentheorie, wonach die Haltbarkeit eines Produktes nicht alleine durch eine einzige Maßnahme, sondern durch das Zusammenspiel verschiedener Einzelprinzipien, den so genannten Hürden, erzielt wird, eine besondere Rolle spielen, da Prozessbedingten Beeinträchtigungen der Produktqualität auf diese Weise entscheidend entgegengewirkt werden kann.

Um Produktgruppen wie Chilled Food, Minimally processed food oder Sous vide products,  herstellen zu können, ist sowohl eine konsequente Anwendung der Möglichkeiten dieses Hürdenprinzips als auch eine konsequente Planung und Organisation über die gesamte Herstellungskette hinweg erforderlich. Dies vor allem, da spezielle und erhöhte Anforderungen an die eingesetzte Rohware, die allgemeine Produktionshygiene, an Prozess, Verpackung und Verpackungsmaterialien, letztendlich aber auch an Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit zu stellen sind. Entsprechend der alten Weisheit, dass Rückstände, Schmutz und Mikro­organismen, die erst gar nicht an den Rohstoff gelangen, auch nicht entfernt zu werden brauchen, ist die Forderung nach Einbeziehung der Urproduktion in die HACCP-Konzepte, die in den Firmen mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden sind, durchaus nachzuvollziehen.

Auf die Frage, welche technischen Entwicklungen in der zukünftigen Lebensmitteltechnologie eine besondere Rolle spielen werden, kann sicherlich nur in Stichworten und gleichzeitig unvollständig geantwortet werden: Ohne Frage gehören hierzu Themen wie Biotechnologie, dynamische und statische Hochdruckanwendungen, andere nichtthermische Haltbarmachungsverfahren, Ultraschallverfahren und die Reinraumtechnik. Wesentliche Impulse sind darüber hinaus von der Extrusionstechnologie, der Homogenisier- und Emulgiertechnologie, dem Coaten und Mikroverkapseln, der Membrantechnologie, der Trocknung, Instantisierung und Granulation, sowie von Bereichen wie der Robotronik und der Prozessautomation zu erwarten.

Auf die Frage, welche technischen Entwicklungen in der zukünftigen Lebensmitteltechnologie eine besondere Rolle spielen werden, kann sicherlich nur in Stichworten und gleichzeitig unvollständig geantwortet werden: Ohne Frage gehören hierzu Themen wie Biotechnologie, dynamische und statische Hochdruckanwendungen, andere nichtthermische Haltbarmachungsverfahren, Ultraschallverfahren und die Reinraumtechnik. Wesentliche Impulse sind darüber hinaus von der Extrusionstechnologie, der Homogenisier- und Emulgiertechnologie, dem Coaten und Mikroverkapseln, der Membrantechnologie, der Trocknung, Instantisierung und Granulation, sowie von Bereichen wie der Robotronik und der Prozessautomation zu erwarten.

Wesentliche Unterstützung wird die Entwicklung neuer oder verbesserter Verfahren durch das zunehmende Verständnis der inneren chemischen und physikalischen Strukturen unserer Lebensmittel und Lebensmittelsysteme erfahren, wobei insbesondere rheologische Aspekte, Fragen der Wasserbindung, Wasserstruktur und Wasseraktivität sowie Wechselwirkungen zwischen Molekülen und Mikroaggregaten neue Einsichten erwarten lassen.

Wichtige Impulse für die Lebensmitteltechnologie werden letztlich aus dem mathematisch/statistischen Bereich erwartet, wodurch Modulationen und Simulationen auch komplizierter Strukturen und Prozesse möglich und diese dadurch übersichtlicher oder überhaupt erst verständlich werden. Beispiele hierfür sind Modulationen und Simulationen einzelner Prozessschritte, ganzer Produktionslinien oder die ökologische Bewertung von Stoff- und Energieströmen. Modelle wie neuronale Netzwerke sind aber auch die Grundlage, die Empfindung von Geruch und Geschmack zu verstehen und in der Konsequenz auch chemische Sensoren zu entwickeln, die beispielsweise in der Qualitätssicherung Einsatz finden können [MÜLLER et al., 2003]. Nicht zuletzt spielen derartige Methoden aber auch eine zunehmende Rolle im Rahmen des so genannten Predictive modelings und der mikrobiologischen Risikobewertung [WHITTING und BUCHANAN, 2001].   

Ethik in der Lebensmitteltechnologie

Last but not least soll darauf hingewiesen werden, dass sich die Lebensmitteltechnologie in Zukunft in weit größerem Umfange mit ethischen Fragen auseinander setzen muss, als dies bisher bereits der Fall war. War die ethische Verantwortung bisher vor allem in der Zurverfügungstellung eines ausreichenden und gesundheitlich unbedenklichen Lebensmittelangebotes zu suchen, so gehen die Fragen heute und in Zukunft doch wesentlich weiter. Allein das Wissen um die weltweit knapper werdenden Trinkwasserressourcen macht deutlich, dass auch die Globalisierung keine Möglichkeit bietet, sich der Verantwortung um eine nachhaltige und Ressourcenschonende Produktion von Rohstoffen und deren ebensolchen Verarbeitung zu entziehen. Ja, wir müssen uns sogar fragen, ob unsere heutigen Vorstellungen von Lebensmittelsicherheit und bedingungsloser Verfügbarkeit überhaupt ethisch vertretbar und beispielsweise mit der nachvollziehbaren Forderung nach Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen sind oder ob wir nicht auch hier über neue Bezugspunkte nachdenken müssen.

Eine der ethischen Grundforderungen  an alle Lebensmittel und Getränke ist, dass die hergestellten Produkte sicher und gesundheitlich unbedenklich sind. Diese Forderung findet ihre Grundlage unter anderem im Deutschen Grundgesetz, wo es im Artikel 1, Absatz 1 heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dabei wird unter der „Würde“ sowohl die körperliche als auch die geistige Integrität verstanden, woraus sich denn auch alle Forderungen der Lebensmittelgesetzgebung ableiten lassen. Wenn wir auch mit Überzeugung sagen können, dass wir noch nie so sichere Lebensmittel hatten wie heute, so gibt es trotzdem keinen Grund, uns mit dem Erreichten zufrieden zu geben. Jeder echte oder vermeintliche Lebensmittelskandal zeigt, dass es Möglichkeiten gibt, die allgemeine Sicherheit weiter zu verbessern. Und die Weiterentwicklung von Mess- und Analyseverfahren versetzt uns in die Lage, unerwünschte Eigenschaften von Rohstoffen und Prozessen immer zuverlässiger und mit zunehmender Genauigkeit zu erkennen und dann auch Maßnahmen zu entwickeln und zu ergreifen, um diese zu vermeiden. Derartige Vorsorge- oder auch Gegenmaßnahmen können im organisatorischen Bereich liegen, sie können technischer Natur sein oder auch die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern betreffen.

Im Kontext ethischer Fragen ist letztlich auch eine ganz andere Entwicklung zu sehen, die in ihren letztlichen Konsequenzen noch nicht wirklich abzusehen ist: Die Sprache ist hier von religiös bzw. weltanschaulich begründeten Anforderungen an die Herstellung von Lebensmitteln. Diese sind zwar nichts grundsätzlich neues, doch ist in den letzten Jahren weltweit erhebliche Bewegung in den betroffenen Marktsegmenten zu beobachten;  als wichtigste sind dabei zu nennen: Bioprodukte, vegetarische Erzeugnisse sowie Koscher- und Halal-zertifizierte Lebensmittel. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Reaktion von Konsumenten: In den USA wird davon ausgegangen, dass nur etwa ein Drittel der produzierten Koscherprodukte auch wirklich von Juden konsumiert werden. Ein weiteres Drittel wird von Muslimen verwendet, da deren Speisegesetze große Ähnlichkeiten aufweisen. Das letzte Drittel schließlich teilen sich Veganer („parve“-Produkte enthalten weder Fleisch noch Milch) und Konsumenten, die davon überzeugt sind, dass die strengen religiösen Vorschriften einen höheren Grad an Lebensmittelsicherheit bieten, als es staatliche Vorgaben und Kontrollen zu garantieren vermögen. Und dieses Argument ist auch immer häufiger außerhalb der USA zu hören.

Abschließende Bemerkungen

Dass wir auf dem Gebiet der Lebensmitteltechnologie auch weiterhin mit Richtungsweisenden technischen Entwicklungen rechnen dürfen, die zu einer weiteren Steigerung der Qualität, der Sicherheit aber auch der Produktionseffizienz und der Nachhaltigkeit führen werden, scheint auf absehbare Zeit nicht gefährdet. Die Komplexität der vielfältigen „Randgebiete“ zu überschauen, zu bewerten und wirtschaftlich vertretbar umzusetzen, erscheint da schon wesentlich schwieriger. Dringender Handlungsbedarf besteht vor allem in Sachen Kommunikation – Kommunikation unter Fachkollegen, Kommunikation innerhalb der Produktkette von der Urproduktion bis zum Verbraucher, Kommunikation mit Handel, Behörden und Politikern, Kommunikation aber vor allem auch mit dem Verbraucher, der die Früchte unserer Arbeit letztlich akzeptieren und auch honorieren sollte.

Literatur

[01]    Bergmann, K. (1999): Industriell gefertigte Lebensmittel. Hoher Wert und schlechtes Image? Schriftenreihe der Dr. Rainer Wild-Stiftung, Springer Berlin

[02]    Buckenhüskes, H.J. (2000): Auf dem Weg zum gläsernen Lebensmittelmarkt. Symposium: Fleisch in der Ernährung - Die Deklaration: Schützt und nützt sie? 23.03.2000, Luzern. Pro-viande, Bern

[03]    Buckenhüskes, H.J. (2004): Rohstoffe für die Lebensmittelverarbeitung von morgen. Welche Rohstoffe werden benötigt, welche verfügbar sein? Obst-, Gemüse- und Kartoffel-Verarbeitung 89(1), 12-16

[04]    GfK (Hrsg.) (1995): Dem Verbraucher auf der Spur – quantitative und qualitative Konsumtrends. Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung. Heft 3, Spezialausgabe „Konsumtrends“

[05]    Homayr, J. (1987): Von der klassischen zur postmodernen Lebensmitteltechnologie. Verband der Lebensmitteltechnologen e.V. [Hrsg.]: 8. Filderstädter Colloquium. Alkoholtechnologie, Filderstadt

[06]    Horx, M. (1993): Trendbuch – Der erste große deutsche Trendreport. ECON, Düsseldorf

[07]    Leistner, L.; Rödel, W. (1976): The Stability of Intermediate Moisture Foods with respect to micro-organisms. In: Davis, R.; Birch, G.G.; Parker, K.J. [Eds.]. Intermediate Moisture Foods. Applied Science Publishers, London

[08]    Lund, D. (2012): Vortrag auf dem International Food, Agricultural and Gastronomy Congress, Antalya, Türkei

[09]    Maslow, A. (1970): Motivation and personality. Harper Row, New York

[10]    Müller, J.P.; Jaeggi, M.; Spichinger, S.; Spichinger-Keller, U.E. (2003): Qualitätssicherung in Lebensmitteln mit chemischen Sensoren. Lebensmittel-Techno-logie 36 (12), 8-11

[11]    Wassermann, L. (1979): Zur Geschichte der Lebensmitteltechnologie und ihr Bezug zur Gegenwart. Int. Z. Lebensm. Technol. U. -Verfahrenstechn. (ZFL) 30(8): 355-358

[12]    Whitting, R.C.; Buchanan, R.L. (2001): Predictive Modeling  and Risk Assessment. In: Doyle, M.P.; L.R. Beuchat; T.J. Montville [Eds.]: Food Microbiology Fundamentals and frontiers. ASM Press, Washington D.C., 2nd Edition. pp. 813-831

Nach oben