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Steviolglycoside - Kompaktwissen

DLG-Expertenwissen 14/2015

Autor:

Matthias Saß
Forschung & Entwicklung, Rudolf Wild GmbH & Co. KG

Kontakt:
Prof. Dr. Herbert J. Buckenhüskes, DLG-Fachzentrum Lebensmittel
H.Buckenhueskes@DLG.org
In Zusammenarbeit mit dem DLG-Ausschuss für Lebensmitteltechnologie
(www.DLG.org/lebensmitteltechnologie)


Einleitung

Steviolglycoside sind seit Ende 2011 als hochintensive Süßungsmittel auch in der EU zugelassen und damit einsetzbar. Der häufig mit „Stevia“ als Synonym bezeichnete Süßstoff hat schon im Vorfeld der Zulassung eine große mediale Aufmerksamkeit erfahren. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die Eigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten dieses relativ neuen Süßungsmittels aus natürlicher Herkunft geben.

2. Eigenschaften / Rohstoffqualitäten

Stevia rebaudiana Bertoni – so der vollständige botanische Name – ist eine ursprünglich aus Paraguay stammende Pflanze. Dort werden die Blätter der Pflanze schon seit Jahrhunderten zum Süßen verwendet und ähnlich wie Teeblätter aufgebrüht. Ihre süßenden Komponenten sind die so genannten Steviolglycoside. Sie kommen von Natur aus in den Blättern der Pflanze vor. Der Begriff „Steviolglycoside“ umfasst keine chemisch definierte Einzelsubstanz, sondern ein Stoffgemisch mit wechselnden Anteilen unterschiedlicher Steviolglycoside [1]. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu den aus definierten Einzelsubstanzen aufgebauten Süßstoffen synthetischer Herkunft. Unter den Steviolglycosiden sind Steviosid und Rebaudiosid A im Wesentlichen für die sensorischen Eigenschaften der aus den Steviablättern hergestellten Extrakte verantwortlich. Grundsätzlich ist die relative Süßkraft von Steviolglycosiden, wie auch bei anderen hochintensiven Süßungsmitteln, deutlich von der eingesetzten Menge abhängig. So hat Steviosid eine 60- bis 180-fache Süßkraft, je nachdem, ob es mit einer 10 % (w/v) oder 2,5 % (w/v) Saccharoselösung verglichen wird. Bei Rebaudiosid A wird von einer 125- bis 380-fachen Süßkraft gesprochen, ebenfalls abhängig davon, ob 10 % (w/v) oder 2,5 % (w/v) Zuckeräquivalent als Vergleich zugrunde gelegt werden. [2]

Sehr häufig wird erwähnt, dass Rebaudiosid A den saubersten Süßeeindruck hinterlässt und auch die vorteilhafteste relative Süßkraft aufweist. Entsprechend werden auch sehr hoch gereinigte Steviolglycosidextrakte mit einem Rebaudiosid-A Anteil von 95 % oder sogar 98 % (bezogen auf die Gesamtmenge an Steviolglycosiden) am Markt angeboten. Es ist aber zu beachten, dass eine Aufreinigung des Extraktes mit zusätzlichem Produktionsaufwand verbunden ist, was sich zwangsläufig in den Kosten für einen solchen Extrakt niederschlägt. In aller Regel wird man auch mit einem Extrakt, der zum Beispiel 60 % Rebaudiosid A und 40 % Steviosid enthält, eine gute Grundlage für die Produktentwicklung finden.

3. Rechtslage

In der europäischen Union ist die Verwendung von Steviolglycosiden in der EU-Verordnung 1131/2011 vom 11.11.2011 geregelt. Seit dem 02.12.2011 dürfen Steviolglycoside als Süßstoffe unter Angabe des Namens oder der E-Nummer E 960 in zahlreichen Lebensmitteln verwendet werden [5].

Die Grundlagen für die Spezifikation der Steviol­glycoside wurden schon erheblich früher durch die JECFA, dem gemeinsamen FAO/WHO-Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe, festgelegt. Der Reinheitsstandard besagt, dass ein Steviaextrakt mindestens 95 % Steviolglycoside enthalten muss. Desweiteren müssen die Steviolglycoside aus den Blättern der Pflanze Stevia rebaudiana Bertoni gewonnen werden [1]. Auf dieser Spezifikation basiert auch die Zusatzstoffzulassung in der EU, die zur Herstellung des Extraktes folgendes ausführt:

Die Herstellung erfolgt in zwei Hauptphasen: zunächst die wässrige Extraktion aus den Blättern von Stevia rebaudiana Bertoni mit erster Reinigung des Extrakts durch Ionenaustauschchromatografie zur Gewinnung eines ersten Extrakts von Steviolglycosiden; zweitens die Rekristallisation der Steviolglycoside aus Methanol oder wässrigem Ethanol mit einem Endprodukt, das mindestens zu 75 % aus Steviosid und/oder Rebaudiosid A besteht.

Ein spezifisches Verhältnis der im Extrakt enthaltenen Steviolglycoside wird nicht gefordert, allerdings werden Steviosid und Rebaudiosid A als die Hauptkomponenten angegeben [6].

Vor der allgemeinen Zulassung in der EU war es eine ungewöhnliche Besonderheit, dass in einem einzelnen EU-Land, nämlich in Frankreich, die Verwendung von bestimmten Steviolglycosidextrakten bereits seit August 2009 zulässig war. Hersteller durften dort Lebensmittel vermarkten, die mit einem Steviaextrakt gesüßt wurden, der einen Steviolglycosidgehalt von 95 % aufwies und davon mussten 97 % aus Rebaudiosid A bestehen. Diese Zulassung war vorläufig für eine Dauer von zwei Jahren und wurde von der EU-weiten Zulassung 2011 abgelöst. Dadurch kam es aber zu der merkwürdigen Konstellation, dass in Frankreich Produkte gekauft werden konnten, die einen (Süß)Stoff enthielten, der im übrigen Europa keine Zulassung hatte.

Es ist zu beachten, dass für Steviolglycoside eine eingeschränkte Zulassung für bestimmte Lebensmittelgruppen erfolgt ist. In aller Regel ist der Zusatz nur in brennwertverminderten Lebensmitteln zulässig. Das Endprodukt muss also mindestens 30 % weniger Kalorien als ein herkömmlich formuliertes Produkt aufweisen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die zugelassenen Einsatzmöglichkeiten [5].

Tabelle 1: Zugelassene Einsatzmöglichkeiten von Steviolglycoside in der EU

Kategorie


 
Bezeichnung


 
Höchstmenge
[mg/kg] bzw. [mg/l]
Stevioläquivalente
01.4Aromatisierte fermentierte Milchprodukte, auch wärmebehandelt100
03Speiseeis200
04.2.2Obst und Gemüse in Essig, Öl oder Lake
(nur süßsaure Obst- und Gemüsekonserven)
100
04.2.4.1Zubereitungen aus Obst und Gemüse, ausgenommen Kompott200
04.2.5.1Konfitüre extra und Gelee extra gemäß der Richtlinie 2001/113/EG200
04.2.5.2Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Maronenkrem gemäß der Richtlinie 2001/113/EG200
04.2.5.3Sonstige ähnliche Brotaufstriche aus Obst oder Gemüse200
05.1Kakao- und Schokoladeprodukte im Sinne der Richtlinie 2000/36/EG270
05.2Sonstige Süßwaren, auch der Atemerfrischung dienende Kleinstsüßwaren: 
 Nur brennwertverminderte oder ohne Zuckerzusatz hergestellte Süßwaren auf Kakao- oder Trockenfruchtbasis270
 Nur brennwertverminderte oder ohne Zuckerzusatz hergestellte Brotaufstriche auf Kakao-, Milch-, Trockenfrucht- oder Fettbasis330
 Nur Süßwaren ohne Zuckerzusatz350
 Nur ohne Zuckerzusatz hergestellte Kleinstsüßwaren zur Erfrischung des Atems2.000
 Nur ohne Zuckerzusatz hergestellte, stark aromatisierte Rachenerfrischungspastillen670
05.3Kaugummi (nur ohne Zuckerzusatz)3.300
05.4Verzierungen, Überzüge und Füllungen, ausgenommen Füllungen auf Fruchtbasis der Kategorie 4.2.4 
 Nur Süßwaren ohne Zuckerzusatz330
 Nur brennwertverminderte oder ohne Zuckerzusatz hergestellte Produkte auf Kakao- oder Trockenfruchtbasis270
06.3Frühstücksgetreidekost (nur brennwertverminderte oder ohne Zuckerzusatz hergestellte Frühstücksgetreidekost mit einem Faseranteil von mehr als 15 % und einem Kleieanteil von mindestens 20 %)330
07.2Feine Backwaren (nur Ess- und Backoblaten)330
09.2.Fisch und Fischereiprodukte, einschließlich Weich- und Krebstiere, verarbeitet (nur süßsaure Konserven und Halbkonserven von Fisch und Marinaden von Fisch, Krustentieren und Weichtieren)200
11.4.1Tafelsüßen, flüssigQuantum satis
11.4.2Tafelsüßen in PulverformQuantum satis
11.4.3Tafelsüßen in TablettenformQuantum satis
12.5Suppen und Brühen (nur brennwertverminderte Suppen)40
12.6Soßen (ausgenommen fermentierte und nicht fermentierte Sojabohnensoße)120
 Nur fermentierte und nicht fermentierte Sojabohnensoße175
13.2Diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke gemäß der Richtlinie 1999/21/EG (ausgenommen Produkte der Lebensmittelkategorie 13.1.5)330
13.3Lebensmittel für eine gewichtskontrollierende Ernährung, die eine gesamte Tagesration oder eine Mahlzeit ersetzen sollen (ganz oder teilweise)270
14.1.3Fruchtnektare gemäß der Richtlinie 2001/112/EG des Rates und Gemüsenektare und gleichartige Produkte100
14.1.4Aromatisierte Getränke80
14.2.1Bier und Malzgetränke (Nur alkoholfreies Bier bzw. Bier mit einem Alkoholgehalt von höchstens 1,2 Vol-%; „Bière de table/Tafelbier/Table beer“ (mit einem Stammwürzegehalt von weniger als 6 %), ausgenommen „obergäriges Einfachbier“; Bier mit einem Mindestsäuregehalt von 30 Milliäquivalenten, berechnet als NaOH; dunkles Bier der Art „oud bruin“)70
14.2.8Sonstige alkoholische Getränke einschließlich Mischgetränken aus alkoholischen und nicht alkoholischen Getränken und Spirituosen mit einem Alkoholgehalt von weniger als 15 %150
15.1Knabbereien auf Kartoffel-, Getreide-, Mehl- oder Stärkebasis20
15.2Verarbeitete Nüsse20
16Dessertspeisen, ausgenommen Produkte der Kategorien 1, 3 und 4100
17.1Nahrungsergänzungsmittel in fester Form, einschließlich Kapseln, Komprimaten und ähnlichen Formen670
17.2Nahrungsergänzungsmittel in flüssiger Form200
17.3Nahrungsergänzungsmittel in Form von Sirup oder in kaubarer Form1.800

Im Jahr 2015 wurde nach einer Anfrage zur Erweiterung der Zulassung von Steviolglycosiden ein neues Gutachten von der EFSA veröffentlicht [8]. Nach dem positiven Befund steht einer Zulassung in den in Tabelle 2 zusammengefassten Kategorien nichts im Weg:

Bei der in der EU-Verordnung 1131/2011 erfolgten Zulassung wird vom Gesetzgeber der Begriff „Stevioläquivalente“ für die Angaben der Höchstmengen verwendet. Die Stevioläquivalente sind praktisch der „kleinste gemeinsame Nenner“ der sehr unterschiedlichen Zusammensetzung von steviolglycosidhaltigen Extrakten. Das Stevioläquivalent läßt sich für jedes Steviolglycosid errechnen und erlaubt einen einheitlichen Vergleich bezogen auf das Zentralmolekül Steviol. Das EU-Recht gibt die Umrechnungsfaktoren für die unterschiedlichen Steviolglycoside gemäß Tabelle 3 an [6].

Tabelle 2: Erwartete erweiterte Zulassung von Steviolglycosiden in der EU

Kategorie

 
Bezeichnung

 
Höchstmenge [mg/kg] bzw. [mg/l] Stevioläquivalente
14.1.5Kaffee, Tee, Kräuter- und Früchtetee, Zichorie; Tee-, Kräuter-, Früchtetee- und Zichorien­extrakte; Tee-, Pflanzen-, Frucht- und Getreideaufgusszubereitungen sowie Mischungen und Instant-Mischungen dieser Produkte 
 Teegetränke und Instantkaffee und Instantcappuccino-Produkte29
 Kaffee und Kräuterteegetränke29
14.1.5.2Sonstige 
 Malzbasierte und Schokolade/Cappuccino aromatisierte Getränke20

Tabelle 3: Umrechnungsfaktoren der Steviolglycoside zum Zentralmolekül „Steviol“

TrivialnameKonversionsfaktor
Steviol1,00 (Aglycon)
Steviosid0,40
Rebaudiosid A0,33
Rebaudiosid C0,34
Dulcosid A0,40
Rubusosid0,50
Steviolbiosid0,50
Rebaudiosid B0,40
Rebaudiosid D0,29
Rebaudiosid E0,33
Rebaudiosid F0,34

Für die Produktentwicklung ist es daher wichtig, dass das Stevioläquivalent auf der Spezifikation des jeweiligen Steviolglycosidextraktes angegeben ist. Nur so kann die eingesetzte Menge des Extraktes mit der zulässigen Höchstmenge verglichen werden. Dazu zwei modellhafte Berechnungen am Beispiel der zulässigen Höchstmenge für Erfrischungsgetränke (max. 80 mg/l Stevioläquivalent):

Ein Steviolglycosid-Extrakt mit 98 % Rebaudiosid-A-Anteil, 2 % Steviosid-Anteil und 95%-iger Reinheit („Reb A98“) kann bei 80 mg Stevioläquivalentmenge bis zu einer Menge von 254 mg eingesetzt werden:

  • 98 % des 80 mg Stevioläquivalent (78,4 mg) aus dem Rebaudiosid A (F=0,33) = 237,6 mg
  • 2 % des 80 mg Stevioläquivalent (1,6 mg) aus dem Steviosid (F=0,40) = 4,0 mg
  • 241,6 mg (237,6 mg+4,0 mg) entsprechen (Reinheit 95 %) einer Extraktmenge von 254,3 mg

Ein Steviolglycosid-Extrakt mit 60 % Rebaudiosid-A- und 40 % Steviosid-Anteil und ebenfalls 95%-iger Reinheit („Reb A60“) kann bis zu einer Konzentration von 237 mg/l eingesetzt werden:

  • 60 % des 80 mg Stevioläquivalent (48 mg) aus dem Rebaudiosid A (F=0,33) = 145,4 mg
  • 40 % des 80 mg Stevioläquivalent (32 mg) aus dem Steviosid (F=0,40) = 80,0 mg
  • 225,4 mg (80 mg+145,4 mg) entsprechen (Reinheit 95 %) einer Extraktmenge von 237,3 mg

Im nächsten Abschnitt wird erläutert, inwieweit dies auch Auswirkungen auf das maximal ersetzbare Süßeäquivalent

4. Sensorik / Süßeprofil

Mit den vorhergehenden Ausführungen wird auch klar, dass „Stevia nicht gleich Stevia“ ist – die Qualität dieses Süßungsmittels ist abhängig von der Zusammensetzung des Ex­traktes bzw. den Anteilen der einzelnen Steviolglycoside. Die einzelnen Steviolglycoside weisen sensorische Unterschiede auf, was die Sensorik der handelsüblichen „Steviaextrakte“ beeinflusst. Auch bei „spezifikationsgleicher“  Zusammensetzung sind von Extrakt zu Extrakt unterschiedliche sensorische Profile möglich. Je nach Herstellung und Komposition kann das Produkt unerwünschte Noten aufweisen und die häufig zitierten lakritzartigen oder bitteren Geschmacksnoten vermitteln, was aber nicht grundsätzlich der Fall ist.

Wie bei vielen hochintensiven Süßstoffen zeichnet sich das Süßeprofil von Steviolglycosiden auch durch einen relativ lang anhaltenden Süßegeschmack aus. Dieser wird individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen. Er variiert in seiner Intensität auch aufgrund der schon geschilderten Zusammensetzung der Steviaextrakte und ist abhängig von der Matrix des Produktes.

Die spezifischen sensorischen Eigenschaften der Steviolglycoside erfordern großes Know-how bei der Anwendung im Endprodukt. Ein simpler Austausch von einem, aus einem einzelnen Molekül bestehenden Süßstoff in einem bestehenden Produktkonzept gegen Steviolglycoside wird kaum möglich sein. Die Auswahl des passenden Steviolglycosidextraktes erfordert Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Darüber hinaus können Strategien und Technologien zur Maskierung des lang anhaltenden Nachgeschmacks und möglicher bitterer oder metallischer Nebennoten erforderlich sein.

So gibt es funktionale Aromen, die unerwünschte Nebennoten maskieren können und zugleich das Profil der „Süße mit natürlichem Ursprung“ verbessern können. In aller Regel wird der Hersteller dieses funktionale Aroma auch noch an die jeweilige Produktapplikation anpassen. Zudem muss beachtet werden, ob für die geplante Anwendung Zuckeraustauschstoffe, wie das häufig in Kombination mit Steviolglycosiden verwendete Erythrit, zulässig sind [3].

Wie schon erwähnt, ist die Süßkraft von Steviolglycosiden abhängig von ihrer Einsatzkonzentration. Bei niedriger Einsatzmenge liegt die Süßkraft bis zu 300-mal höher als die von Saccharose. Steigt die Einsatzmenge bezogen auf die selbe Produktmenge, fällt die Süßkraft bis auf etwa das 100-fache. Schon geringe Rezepturänderungen wirken sich bei den Steviolglycosiden viel stärker aus als bei synthetischen Süßstoffen. Das ist bei der Produktentwicklung in besonderem Masse zu beachten. Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich die einzelnen Steviolglycoside in ihrer Süßkraft, was sich je nach Anteil an Rebaudiosid A im Extrakt spürbar auswirkt. So hat ein so genannter „Rebaudiosid A 60“-Extrakt mit einem Anteil von 60 % Rebaudiosid A und 40 % Steviosid an den Gesamtsteviolglycosiden eine relative Süßkraft von etwa 220-fach gegenüber 5 % (w/v) Saccharose. Ein fast reines Rebaudiosid A mit 98 % Reinheit weist eine relative Süßkraft zu 5 % (w/v) Saccharose von etwa 240-fach auf.

Setzt man nun die entsprechenden maximalen Einsatzmengen gemäß dem obigen Rechenbeispiel ein, so erhält man folgendes rechnerisches Süßkraftäquivalent:

  • 254 mg „Reb A98“ Extrakt entspricht bei 240-facher Süßkraft ca. 61 g Saccharose
  • 237 mg „Reb A60“ Extrakt entspricht bei 220-facher Süßkraft ca. 52 g Saccharose

Somit können mit einem hochgereinigten Extrakt signifikant höhere Mengen an Zucker ersetzt werden. Bei bestimmten Produktentwicklungen sind somit noch ein paar Gramm Zuckeräquivalent mehr möglich.

Besonders vorteilhaft für die Sensorik von steviolglycosidhaltigen Produkten ist die Kombination mit süßen Kohlenhydraten. Die Mitverwendung von Zuckerarten, wie beispielsweise Invertzucker, Saccharose, Glucose oder Fructose in der Formulierung ist sehr vorteilhaft für den Geschmack. Dies wird je nach erlaubter Einsatzmenge des Süßstoffes auch notwendig sein. So erlaubt der rechtlich zulässige Einsatz von 80 mg/l Stevioläquivalenten in Erfrischungsgetränken keinen vollständigen Austausch der in dieser Anwendung üblichen Zuckermenge von 10 % (w/v). Insofern ist eine Teilsüßung mit anderen Süßstoffen oder süßen Kohlenhydraten erforderlich.

Renommierte Hersteller von Steviolglycosiden bieten Produkte mit unterschiedlichen Anteilen an Rebaudiosid A an, damit jeder Entwickler das Süßungssystem so auswählen kann, wie es jeweils am besten zu seinen Produkten und Kostenvorstellungen passt. Ein direkter Zugang solcher Anbieter zu qualitativ hochwertigen Steviaextrakten ist ebenso hilfreich wie internationale Erfahrung in der Produktentwicklung.

5. Stabilität

Neben der Sensorik ist die Stabilität des Süßstoffes ein entscheidendes Qualitätsmerkmal des Endprodukts. Es liegen zahlreiche Erfahrungen zur Stabilität von Steviolglycosiden vor, die sich auch in der einschlägigen Fachliteratur nachlesen lassen. Obwohl sich analytisch bei tiefen pH-Werten Verluste zeigen lassen, so sind die sensorischen Veränderungen in aller Regel vernachlässigbar. Damit sind Steviolglycoside als stabile Süßstoffe auch für den Einsatz in sauren Erfrischungsgetränken oder bei hohen Prozesstemperaturen (Backen, Süßwarenherstellung) anzusehen. In den Abbildungen 3 bis 6 sind einige Praxisbeispiele zur Stabilität von Steviolglycosiden in verschiedenen Applikationen dargestellt.

Eine gute Übersicht über die Stabilität in weiteren Applikationen wie Milchgetränken, fermentierten Milchgetränken, Joghurt, Sojaprodukten, Eiscreme, Marmelade und Keksen findet sich in [7]. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass in keiner der getesteten Applikationen ein Verlust von Steviolglycosiden gezeigt werden konnte. Die Nutzung von Steviolglycosiden ist somit problemlos in einem breiten Spektrum von Lebensmitteln möglich.

6. Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Steviolglycoside als sehr interessante und ernstzunehmende hochintensive Süßungsmittel neue Optionen für die Produktentwicklung eröffnen. Bei der Auswahl der Steviolglycosidextrakte ist zu beachten, das große sensorische Unterschiede bei praktisch gleicher Spezifikation auftreten können. Daher ist diesem Punkt in der Praxis besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Konzeptionell bieten sich Steviolglycoside als Süßstoffe aus natürlicher Herkunft für die Nutzung als einziger Süßstoff in der Entwicklung von Produkten an. Die häufig zitierten geschmacklichen Defizite werden bei sorgfältiger Rohstoffauswahl und unter Einbeziehung der Erfahrung internationaler Hersteller von Aromen und Grundstoffen keine Rolle spielen.

Literatur

[1]    FAO JECFA Monographs 10 (2010) – Steviol Glycosides

www.fao.org/ag/agn/jecfa-additives/specs/monograph10/additive-442-m10.pdf

[2]    Schiffman, Booth, Sattely-Miller, Graham, Gibes; Selective Inhibition of Sweetness by the Sodium Salt of ±2-(4-Methoxyphenoxy)propanoic Acid; Chem. Senses 24:439-447, 1999

[3]    Saß, Anwendung von Stevia in Getränken – Herausforderungen und Lösungen, Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (2010) 5:231-235

[4]    Scientific Opinion on the safety of steviol glycosides for the proposed uses as a food additive; EFSA Journal 2010; 8(4):1537

http://www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/pub/1537.htm

 

[5]    EU-Verordnung 1131/2011 vom 11.11.2011 zur Änderung von Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich Steviolglycosiden eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do

[6]    EU-Verordnung 231/2012 vom 09.03.2012 mit Spezifikationen für die in den Anhängen II und III der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates aufgeführten Lebensmittelzusatzstoffe eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do

[7]    Jooken, Amery, Struyf, Duquenne, Geuns, Meesschaert; Stability of Steviol Glycosides in Several Food Matrices; Journal of Agricultural and Food Chemistry; 2012, 60 (42), 10606–10612

[8]    Scientific opinion on the safety of the extension of use of steviol glycosides (E 960) as a food additive;


EFSA Journal 2015;13(6):4146 www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/pub/4146.htm

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